Strategische Bedeutung Lateinamerikas und der Karibik

Der Bundestag hat am Donnerstag, 20. April 2023, erstmals über einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel „Die strategische Bedeutung Lateinamerikas und der Karibik als Partner für die Stärkung der regelbasierten Ordnung erkennen und Chinas Präsenz in Lateinamerika strategisch entgegenwirken“ (20/4336) beraten. Im Anschluss an die Aussprache wurde der Antrag zur weiteren Beratung an den federführenden Auswärtigen Ausschuss überwiesen.

Meine Rede vom 20. April 2023 können Sie hier nachlesen:

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

zunächst einmal ist es erfreulich, dass die Union ihren Antrag tatsächlich mal auf der Tagesordnung gelassen und nicht ein weiteres Mal verschoben hat. Man hat sich schon gefragt: Ist das noch ehrliches Interesse oder dient Ihnen die Region nur als Lückenfüller?

Ja, Chinas Einfluss ist groß – nicht nur aufgrund der wachsenden Anzahl von Konfuzius-Instituten. Lokale Medien erhalten aus China kostenlose Depeschen. Eine YouGov Meinungsumfrage von 2022 zeigt: Chinas Rolle in der Welt wird insbesondere in Lateinamerika positiv wahrgenommen.

Die Pandemie und die Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine haben deutlich gemacht, wie heterogen sowohl die EU als auch Lateinamerika von Krisen betroffen sind. China und auch Russland präsentierten sich als Helfer in der Not. Sie versorgten Lateinamerika beispielsweise mit kostengünstigen Impfstoffen. Über den COVAX-Mechanismus gab es von Deutschland und Europa nur eine relativ geringe Anzahl an COVID-Impfdosen. Dies hat durchaus Spuren hinterlassen.

Auch als Handelspartner spielt die Volksrepublik eine wichtige Rolle: seit Jahren ist China Brasiliens größter und wichtigster Handelspartner. Staatskonzerne investieren intensiv in den Stromsektor und die Häfen. Vergangene Woche war Präsident Lula da Silva mit einer großen Delegation in China. In Peking betonte er, dass er gemeinsam mit China die Geopolitik der Welt ins Gleichgewicht bringen will.

Aber, zur Realität gehört auch, dass die Kritik am chinesischen Expansionskurs in Lateinamerika wächst. So berichteten lokale Medien in Bolivien im Dezember, dass chinesische Unternehmen hinter Bergbaukooperationen stehen, die für den illegalen Goldbergbau verantwortlich sind. Und das mit einer katastrophalen Umweltbilanz.

Im Januar war ich selbst in Bolivien und habe dort mit Politiker:innen und Aktivist:innen über die fragile Umweltlage gesprochen. Über den illegalen Bergbau gelangt viel Quecksilber in die Flüsse. Der Verzehr von Fisch führt dazu, dass das giftige Metall in die Körper der Anwohner:innen gelangt. Zudem werden große Mengen von Fleisch nach China exportiert. Dies führt zu weiterer Entwaldung durch die Ausweitung von Weideflächen.

Das Bewusstsein in Lateinamerika für die negativen Auswirkungen des chinesischen Rohstoffhungers wächst langsam. Genauso das Bewusstsein für unausgeglichene Handelsbeziehungen. So hat der argentinische Präsident Fernández in Gesprächen mit Peking deutlich gemacht, dass von den Handelsverbindungen beide Seiten profitieren müssen.

Eine von der FES in Auftrag gegebene Umfrage in Lateinamerika hat 2021 Folgendes ermittelt: Während China in den Bereichen Technologie, Digitalisierung und Wissenschaft weit vorne liegt, sieht eine Mehrheit der lateinamerikanischen Bürger:innen Europa führend in normativen und sozialen Fragen. Ferner gibt es eine starke Präferenz für die Demokratie und gegen autoritäre Regierungsformen.

Das zeigt: Es gibt ein enormes Potential in den Beziehungen. Wir müssen unseren lateinamerikanischen Wertepartnern einen Mehrwert bieten und attraktive Angebote zur Zusammenarbeit machen. Und dabei geht es nicht nur um die Bemühungen der EU-Kommission, mit den MERCOSUR-Partnern eine Einigung zu erreichen. Wir sollten die Verhandlungen nutzen, um unsere Beziehungen mit der Region auf allen Ebenen zu vertiefen. Wir brauchen ein Abkommen, in dem die

  • Garantie der Menschenrechte
  • Umwelt- und Klimaschutz sowie
  • gute Arbeitsbedingungen eine Rolle spielen.

Und sich auch die Forderungen der MERCOSUR-Staaten nach

  • ausgeglichenen Handelsbeziehungen,
  • nach Investitionen,
  • Schutz der heimischen Industrie und
  • Wertschöpfung im eigenen Land

widerspiegeln.

Ende Januar besuchte Bundeskanzler Scholz im Rahmen seiner Südamerika-Reise Chile – einer der weltweit größten Lithium-Produzenten. Lithium ist für die Produktion von Akkus für E-Autos und Smartphones unverzichtbar. 2030 läuft Chiles Liefervertrag mit China aus. BK Scholz hat Deutschland ins Gespräch gebracht. Und dabei betont, dass man, im Sinne einer echten Partnerschaft, auch die Wertschöpfung in Chile fördern will.

Wir müssen die Potentiale, die in der Partnerschaft zu Lateinamerika stecken, besser nutzen. Dazu gehören Kooperationen in der Wissenschaft, im Gesundheitswesen und in der Industrie- und Landwirtschaft. Selbstverständlich auch in der Bekämpfung von extremer Armut und dem Klimawandel sowie die Schaffung von Energiepartnerschaften und die Reform des Multilateralismus.

Bis Juni 2023 – also noch vor dem EU-Lateinamerika-Gipfel – wird das BMZ seine strategische Planung für die Zusammenarbeit mit Lateinamerika und der Karibik vorlegen.

Wie Sie sehen, wir sind dran.

Vielen Dank.

 


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